Ein knapper und übersichtlicher Bericht über die Entdeckung der Runen



Ausschnitt aus Im Gespräch mit einem Magier von Samael Leynes

Die Macht der Runensteine ist uns heutzutage wohlbekannt, und jedes Kind weiß um die Grundregeln der Magie und ihre Vorteile bei der Verteidigung unserer vier Wände. Diese Überlieferung zeigt, dass das nicht immer so war. Unser Wissen ist in den letzten Jahrhunderten beträchtlich gewachsen - und damit leider auch das Risiko, dass die Magie für schurkische Machenschaften missbraucht wird.

- Reldo

ie Frage war eigentlich leicht zu beantworten, doch der alte Mann sah mich mit einer seltsamen Mischung aus Mitleid und Verachtung an. Ich hatte ihn gefragt, woher die Runen kämen, die so ein wichtiger Teil unseres täglichen Lebens geworden sind. Ich wartete geduldig auf seine Antwort und gab vor, sein Missfallen nicht zu bemerken. Ich war mir sicher, dass er mir gewogen war, denn er hatte sich gesprächig gezeigt und mir Geschichten aus den Zeiten vor der Entstehung der Menschheit erzählt. Endlich hustete er krächzend und fing an zu erzählen.

"Die Zeit, die mir auf dieser Welt vergönnt war, geht dem Ende zu. Der Verrat der schändlichen Anhänger von Zamorak hat mich bis aufs Mark erschüttert und macht mir das Herz schwer, denn nun geht alles Wissen, das Leute wie ich mühevoll zusammengetragen haben, verloren. Mir bleibt nicht viel Zeit, daher muss ich anderen von den Runen erzählen, und sie vor den Gefahren warnen, die die Betrüger in unsere schöne Welt gebracht haben.

"Ich bin einer der wenigen, die sich an die Zeiten erinnern, als wir noch keine Runen hatten. Damals mussten sich die Menschen mit den anderen um Nahrung schlagen, damals waren wir nirgendwo vor den Kreaturen in Sicherheit, die unser Volk zerstören wollten. Ja, ich erinnere mich noch an Tage, bevor die Menschen und die Zwerge Verbündete wurden, als sich nur die tapfersten Helden untertage wagten - aus Angst, dass sie den Zorn der Zwerge, der rechtmäßigen Bewohner des Untergrunds, auf sich ziehen könnten.

"Ich erinnere mich an die Namen der Königreiche, bevor sie zu Königreichen wurden, an die Männer, die noch vor den Königen regierten. Ich erinnere mich, wie durch diese Entdeckung zerüttete Familien wieder zusammenfanden, wie sich die Leute zum ersten Mal seit Menschengedenken in Sicherheit fühlten, wie selbst der einfachste Mann einem König die Stirn bieten konnte... Ja, ich erinnere mich...

Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, wartete ich eine Weile, denn ich wollten den alten Mann nicht überanstrengen. Wir waren in der Gaststätte lange zusammengesessen und hatten über viele Dinge gesprochen, die der geneigte Leser in diesem Schriftstück nachlesen kann. Doch ich musste den alten Mann zur Eile antreiben, denn es war spät geworden und ich hatte Angst um den alten Mann, welcher heftig hustete und tief in Gedanken versunken war.

Ich kaufte beim Kneipenbesitzer noch einen Krug Bier und bat den alten Mann noch mal, meine Frage zu beantworten.

"Sie wollen eine Antwort, mein Junge? Und Sie haben noch ein Bierchen für mich? Dann wollen wir mal sehen... Aber Sie müssen wissen, dass es auf eine einfache Frage nicht unbedingt eine einfache Antwort gibt...

"Ich erinnere mich an meinen Vater. Er war ein angesehener Schmied. Eines Tages, als ich noch ein Junge war, erzählte er mir von einem Mann aus dem Norden, der etwas Unglaubliches entdeckt hatte... Aber halt, einige Geheimnisse muss ich mit ins Grab nehmen, damit sie nicht in die falschen Hände geraten. Doch so viel werde ich Ihnen verraten: Dieser Mann im Norden hatte etwas äußerst Wichtiges gefunden, das er einer ausgiebigen Untersuchung unterziehen wollte, und er hatte meinem Vater einige kleinere Gegenstände wie Hämmer und Meißel abgekauft, wodurch dieser von dem Fund erfahren hatte.

"Schon als junger Mann nahm ich reges Interesse an der Welt um mich herum und wollte wissen, was sich hinter dieser überraschenden Entdeckung verbarg. In der gleichen Nacht stahl ich mich also aus dem Haus meiner Eltern im heutigen Misthalin, um dem Mann bei der Untersuchung seiner Fundstücke zuzusehen. Sie wollen wissen, was er gefunden hatte? Geduld, mein Junge, dazu komme ich gleich. Ich darf aber nicht zu viel verraten, denn das Böse geht in diesem Land ein und aus, und wenn es alle Geheimnisse wüsste, die ich aufgedeckt habe, würde der Menschheit ein unsägliches Schicksal widerfahren. So viel aber sei verraten: Der Mann aus dem Norden hatte die Magie entdeckt.

"Ich war nicht der Einzige, der die Entdeckung sehen wollte. Vielleicht drei Dutzend Leute verschiedenen Alters, aus verschiedenen Clans und Stämmen, waren von überall hergekommen, weil auch sie die Gerüchte erreicht hatten. Wie ich waren sie zum Zerreißen gespannt auf die Geheimnisse, die uns offenbart würden. Ich kann Ihnen kaum die Ehrfurcht und Verwunderung schildern, die uns ergriff, als der Mann aus dem Norden seine neuen Fähigkeiten vorführte. Er konnte einen Gegner mit einem mächtigen Windhauch überwältigen. Diese Angriffsart ist heutzutage gang und gäbe, sie wird bei Schlägereien im ganzen Land angewendet, aber damals... damals erschien es uns, als hätten wir uns die Macht der Götter angeeignet!

"Wir trainierten und experimentierten, unsere Kräfte wurden immer stärker und unglaublicher... Ich sah, wie Menschen nur durch die Kraft ihres Geists Gegenstände bewegten und wie sie nutzlose Dinge zu Gold verwandelten!

"Aber diese Fertigkeiten und Kräfte waren noch nicht alles, was wir herausfanden. Wir hatten auch festgestellt, dass wir die magischen Kräfte auf Gegenstände übertragen konnten. Wir nannten diese Gegenstände 'Runensteine', nach den Runensymbolen, mit denen wir die Steine je nach der darin enthaltenen Magie beschrifteten.

"Diese Steine schenkten wir Leuten, die noch nicht mit uns trainiert hatten, denn die magischen Energien in den Steinen ließen sich beliebig freisetzen. Wir alle waren uns einig, dass die Entdeckung der Magie und die Fähigkeit, Magie in Steinen zu komprimieren, ausgiebig erforscht werden musste. Unsere Gruppe zählte nicht genügend Leute, daher beschlossen wir, in unsere Heimat zurückzukehren und dort die Nachricht von unserer Entdeckung zu verkünden. Je mehr Leute wir einweihten, desto mehr würden uns bei den Nachforschungen helfen.

"Als ich nach Hause zurückkehrte, wurde ich von meinen Eltern für meine Gedankenlosigkeit und meinen Egoismus gescholten, denn ich war aufgebrochen, ohne ihnen Bescheid zu sagen. Doch ihr Gesichtsausdruck, als ich ihnen meine neuen Kräfte vorführte, sprach Bände! Als ich etwas Erz in meiner Hand schmolz, ohne einen Hochofen dafür zu benötigen, war mein Vater bis in die Grundfesten erschüttert. In diesem Augenblick verstand er, warum ich meine Heimat verlassen hatte, und erkannte, dass diese Entdeckung die Zukunft unseres Volks nachhaltig beeinflussen würde.

"Nur meine Mutter hatte mich gewarnt, doch ich war ein närrischer junger Mann und wollte nicht auf sie hören. Wer sich die Macht der Götter aneignet, läuft Gefahr, sie neidisch zu machen, denn die Götter wollen nicht, dass Normalsterbliche ihnen ebenbürtig sind. Ich hatte Gelegenheit, über die Worte meiner Mutter nachzudenken, und wünschte mir, ich hätte sie damals schon verstanden.

Die Geschichte des alten Mannes war offensichtlich noch nicht zu Ende, doch er hielt erneut inne, fast so, als warte er auf ein verstecktes Signal zum Weitersprechen. In den letzten Stunden hatte ich seine Erzählweise zu verstehen gelernt, daher stand ich auf, um ihm noch ein Bier zu holen. Doch plötzlich wachte er aus seiner Träumerei auf und winkte ab.

"Nein danke, mein Junge. Kein Bier mehr für mich - ich hatte genug für heute. Selbst alles Bier in Misthalin kann die Erinnerung an den Betrug und das Blutvergießen nicht auslöschen, egal, wie sehr ich es mir wünsche. Tun Sie einem alten Mann den Gefallen und lassen Sie mich meinen Erinnerungen an lang verstorbene Freunde nachhängen. Ich werde Ihnen die Geschichte weitererzählen, wenn ich so weit bin."